»Kriegsdienstverweigerung ist kein Schönwetterrecht«

Rudi Friedrich von Connection e.V.

Wir sind heute hier, weil der 15. Mai seit 1982 als Internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerung begangen wird. Angesichts der Aufrüstung und Militarisierung, die wir gegenwärtig erleben, ist dieser Tag enorm wichtig.

Die Zeichen stehen auf Krieg. Weltweite Waffenexporte nehmen zu. Die Rüstungsproduktion wird angekurbelt. Unser neuer Außenminister Wadephul fordert massive Erhöhungen der Rüstungsausgaben. Forderungen werden erhoben zur Einführung einer neuen Wehrpflicht oder einer allgemeinen Dienstpflicht. Statt Kriege zu verhindern, wird darauf gesetzt, Kriege führen zu können – und sie auch zu führen.

Es ist dabei nicht nur der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der als Argument angeführt wird. Aktuell erleben wir Kriege in vielen anderen Ländern: Die israelische Armee hat gerade eine neue Offensive in Gaza begonnen. Kriege werden geführt in der Türkei, Syrien, Sudan, Myanmar oder in der Demokratischen Republik Kongo. Ein neuer Krieg bahnt sich an zwischen Indien und Pakistan. Überall sagen uns die Politiker*innen, dass sie nur den Frieden wollen. Aber tatsächlich setzen Regierungen und Milizen auf Krieg.

In Kauf genommen werden Zigtausende von Toten, unzählige Schwerverletzte, massive Zerstörungen. Nicht zu vergessen: All diese Kriege treiben ungezählte Menschen in die Flucht, einen Teil auch nach Europa und Deutschland. Die Festung Europa wird jedoch militärisch gesichert. Das Asylrecht soll außer Kraft gesetzt werden. Widerrechtlich werden an vielen EU-Außengrenzen Geflüchtete über Pushbacks zurückgewiesen. Grenzkontrollen gibt es auch innerhalb der EU wieder. Der deutsche Innenminister lässt seit mehreren Tagen Flüchtlinge widerrechtlich an der Grenze zurückweisen.

Dem setzen wir den Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung entgegen. Mehr als 300.000 entziehen sich in Russland dem Krieg, verweigern, desertieren. Mehr als 300.000 tun dies auch in der Ukraine. In Israel wird die Zahl der Verweigerer auf 100.000 geschätzt. Sie alle sagen: »Stoppt das Töten – in allen Kriegen!«. Und sie brauchen angesichts drohender Repressionen, angesichts von Verurteilungen, von zum Teil jahrelanger Haft, unsere Unterstützung.

Vor uns stehen heute rund 200 leere Stühle mit aufgeklebten Reservierungen mit den Namen realer Kriegsdienstverweigerer*innen und Deserteur*innen aus Russland, Belarus, der Ukraine, Südkorea, Israel, Palästina, Kolumbien, Türkei und weiteren Ländern. Für Sie führen wir heute diese Aktion durch: Musik statt Krieg. Lebenslaute gibt heute ein Konzert für diejenigen, die aufgrund ihrer Kriegsdienstverweigerung verfolgt oder eingesperrt sind und deshalb heute hier nicht dabei sein können. Diese 200 Stühle stehen für Menschen, die sich weigern zu töten. Sie sind Sand im Getriebe des militärischen Apparats der Leben und Lebensgrundlagen zerstört.

Valentin. Er ist 23 Jahre alt und hat die Ukraine verlassen, um der Rekrutierung für den Krieg zu entgehen. Nach seinem Schulabschluss hat er zunächst ein Studium in Kyiv begonnen und wurde daher vom Militärdienst zurückgestellt. Doch dann kam der Krieg. Seitdem droht ihm die Einberufung. Er ist geflohen und lebt derzeit als »vorübergehend Schutzberechtigter« in Deutschland. Ob er bleiben kann, bis der Krieg zu Ende ist, weiß Stanislav nicht. Er hat Angst, als Militärdienstpflichtiger in die Ukraine zurückgeschickt zu werden.

Anastasia ist 35 Jahre alt. Sie ist Russin, sie ist Soldatin und Mutter eines Kindes im Grundschulalter. Wegen der Schwangerschaft mit ihrem zweiten Kind wurde sie zunächst vom Dienst befreit. Während der letzten Mobilmachung wurde Anastasia dennoch einberufen. Das Militärgericht verurteilte sie zu sechs Jahren Haft, weil sie sich nicht bei den Militärbehörden zurückmeldet hatte – schwanger und vom Dienst befreit, wohlgemerkt. Eine Berufung gegen das Urteil und die 6-jährige Haftstrafe blieb ergebnislos.

Ella Keidar aus Israel wurde Im März 2025 wegen ihrer Verweigerung inhaftiert. In einem bewegenden Brief beschreibt sie ihre Entscheidung als eine »Reise nach Hause – eine Reise zu sich selbst, zur eigenen Menschlichkeit und dem Recht, eine andere Welt zu fordern«.

Sofia Orr aus Israel hatte im Februar 2024 ihre Kriegsdienstverweigerung aus Protest gegen den Krieg in Gaza und die langjährige Besatzung Palästinas. Sie erklärte: »Ich verweigere aus Empathie, Solidarität und Liebe für alle Israelis, die in Israel leben, und für alle Palästinenser*innen, die im Gazastreifen und im Westjordanland leben, unabhängig von ihrer Nationalität oder Religion. Ich verweigere aus der Überzeugung heraus, dass jeder Mensch es verdient, ein Leben in Sicherheit und Würde zu führen«.

Wir sagen hier und heute: Das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung muss als unveräußerliches Recht auch in Kriegszeiten gelten, für jeden und jede, für Männer wie für Frauen, für Rekruten wie für Soldaten und Reservisten.

Und ich will das hier betonen. Kriegsdienstverweigerung ist kein Schönwetterrecht, das nach Belieben ausgesetzt werden kann. Kriegsdienstverweigerung ist als Menschenrecht anerkannt und muss jederzeit in Anspruch genommen werden können.

Und noch mehr: Die Kriegsdienstverweigerung ist ein wichtiger Baustein, um Krieg und damit Tod und Zerstörung im Krieg zu überwinden. Und angesichts der Repressionen, der Verfolgung all dieser Menschen, die sich für das Leben entscheiden, sagen wir hier und heute auch: Verfolgte Kriegsdienstverweiger*innen und Kriegsgegner*innen brauchen Schutz und Asyl.

Vielen Dank!

Rudi Friedrich: »Kriegsdienstverweigerung ist kein Schönwetterrecht«. Redebeitrag am 17. Mai 2025 in Berlin aus Anlass des Internationalen Tages der Kriegsdienstverweigerung.