Einsatz für Frieden und Gewaltfreiheit fördert „Friedenstüchtigkeit“

Widerständigkeit gegen „Kriegstüchtigkeit“ braucht langen Atem, Mut und Zuversicht – überall (Grußwort)

von Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V.

(10.05.2024) Wohin werden aktuelle Appelle führen, militärische ‚Wehrkraft‘ zu stärken und „kriegstüchtig“ zu werden? Seit Menschengedenken folgt auf „Kriegsertüchtigung“ Krieg. Deutscher Erfahrung nach, zuletzt im 19. und 20. Jahr- hundert, mit tödlicher Sicherheit für Viele. Die immensen staatlichen Ressourcen, die im 21. Jahrhundert immer noch für Rüstung, Militär, Personal, den Auf- und Ausbau von ‚Sicherheitsstrukturen‘ aufgewendet werden, fehlen nicht nur für zivile öffentliche Zwecke, sondern sie bewirken aus der Sicht potentieller oder tatsächlicher Konflikt- beteiligter zwangsläufig eine Steigerung des Bedrohungspotentials. Sie erhöhen damit Ängste und Gefahren einer gewaltsamen ‚Entladung‘. Der viel beschworene Kreislauf der Gewalt wird durch noch mehr Rüstung, Militär und Bewaffnung beschleunigt, nicht verlangsamt oder gar unterbrochen. Er steht damit dem Auf- und Ausbau friedlicher Streitbeilegung, einer zukunftsfähigen Friedensgestaltung entgegen.

Im Deutschland der Weimarer Republik kämpften Pazifist*innen vor 100 Jahren gegen den aufkommenden Faschismus. Unter der Parole „Stahlhelm und Hakenkreuz sind Deutschlands Untergang!“1 deckten sie ab 1924 den deutschen Drang auf, mehr Militär zu halten als der Versailler Vertrag erlaubte. Mit guten Gründen bekämpften sie auch Rüstungsprojekte, wie z.B. den Bau von Panzerkreuzern, was die Zahl ihrer Feinde in militärgeneigten Kreisen vermehrte. Während Verächtlichmachung und militärstrafrechtliche Verfolgung von Pazifisten vor 1933 noch eher glimpflich für sie ausgingen, folgten nach Etablierung des NS-Regimes und der Verbrennung pazifistischer Schriften Ausweisung oder Emigration. Wer als Pazifist*in blieb, war Inhaftierung, KZ-Haft und damit Ermordung ausgesetzt. Die Beseitigung und Tabuisierung pazifistischer Positionen erfolgte 1933 bis 1945 mit „deutscher Gründlichkeit“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Verächtlichmachen von Gewaltverzicht wie auch die Ausgrenzung und Verfemung der Opfer der NS-Militärjustiz noch jahrzehntelang vorherrschend – im Westen wie im Osten Deutschlands ähnlich, trotz einiger Unterschiede. Die – nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine – jüngst neu aufgekommene Russophobie nebst bereits zuvor einsetzender Wehrertüchtigung, gefördert mit medial favorisierter Gewaltfürsprache via militärischer Sicherheitspolitik, hat die ohnehin marginale pazifistische Positionierung noch mehr ins gesellschaftliche Abseits gedrängt – und Plädoyers für aktiven Verzicht auf Gewalt, Verhandlungen und Diplomatie statt Waffeneinsatz, neu verächtlich gemacht: Stichworte wie „Lumpenpazifismus“ und „Pazifismus- Sackgasse“ skizzieren die so ignorante wie hämische Ausgrenzung. Diese gilt es auszuhalten, zurückzuweisen und zu überwinden.

Mit Aussetzen der Wehrpflicht im Jahr 2011 wurde dem Menschenrecht Kriegsdienstverweigerung in Deutschland noch mehr Geltung verschafft als zuvor: Weit über 2 Millionen Kriegsdienstverweigerer hatten seit 1956 das Grundrecht nach Artikel 4 Abs. 3 GG wahrgenommen. Seit dem Fortfall der fragwürdigen militärischen und zivilen Zwangsdienste ist damit verbundene Einschränkung der Gewissensfreiheit passé. Im Zuge der Forderung nach „Kriegstüchtigkeit“ ist die Debatte über eine neue ‚Dienstverpflichtung‘ aktuell aufgelebt. Sie erscheint wenig ‚zielführend‘, denn militärische wie auch zivile ‚Bedarfe‘ sind auf freiwilliger Basis zwanglos qualifiziert denkbar. Andere Staaten, die militärische Zwangsdienste noch praktizieren, enthalten nicht selten ihren Dienstverpflichteten die Gewissensfreiheit zur Militärdienstverweigerung vor, manchmal sogar trotz einer entsprechenden Verfassungsbestimmung. Staaten, die ihren Bürger*innen das Recht auf Gewaltverzicht nicht einräumen, legen damit offen, dass sie militärische Gewalt bevorzugen. Die Verfolgung und Bestrafung von Pazifist*innen, die Menschenrechtsorganisationen in vielen Staaten beobachten, dokumentiert zugleich deren Defizite an Freiheits- und Menschenrechten – und weist sie damit als „Schurkenstaaten“ aus. Russland gehört schon wegen seiner Aggression gegen das Nachbarland Ukraine dazu, die Ukraine auch wegen ihrer Repressionen gegen Kriegsdienstverweigerer und pazifistische Organisationen. Denn Gewissensfreiheit, den Militärdienst zu verweigern, ist ein Menschenrecht. Gerade im Falle eines (Verteidigungs-)Krieges erweist sich, ob Militärdienstpflichtige freiheitlich Gewissensschutz erhalten oder militärischer Verfügungsgewalt unterworfen bleiben.

Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V.: Einsatz für Frieden und Gewaltfreiheit fördert „Friedenstüchtigkeit“. Widerständigkeit gegen staatlich gewünschte „Kriegstüchtigkeit“ braucht langen Atem, Mut und Zuversicht – überall. Grußwort zum 15. Mai 2024, dem Internationalen Tag für das Menschenrecht Kriegsdienstverweigerung. Bremen, 10. Mai 2024. https://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/uploads/Dateien/Stellungnahmen/Gruwo20240515IKDV-Tag.pdf