JEDER VIERTE IST IN RUSSLAND KRIEGDIENSTVERWEIGERER

INTERVIEW mit Artjom Klyga
Daniel Säwert (Neues Deutschland) — am 3. Januar 2024

Artjom Klyga ist Experte für Militärrecht. In Moskau hat er sich in den Wahlkampfteams unabhängiger Kandidaten engagiert und vor dem Ukraine-Krieg in Musterungskommissionen mitgewirkt. Im März 2022 legte er diese Arbeit aus Protest nieder. Klyga hat Russland verlassen und lebt in Deutschland.

Herr Klyga, wie ist die Stimmung unter den russischen Männern?

Von September bis Dezember 2022 waren die Männer überwiegend erschrocken. Viele haben versucht auszureisen. Andere, die nicht verstanden haben, was vor sich geht und was sie erwartet, haben die Mobilisierung als Fahrt ins Ferienlager verstanden, in dem es irgendwelche Belustigungen gibt. Und dann gab es noch die Mehrheit, der es egal war. Ihre Haltung war: Wenn der Bescheid kommt, gehen sie in den Krieg, wenn nicht, dann nicht. Ab Januar 2023 war die aktive Phase der Mobilisierung zu Ende. Wer weg wollte, war schon weg. Für die Gruppe mit der Scheißegal-Haltung hat sich nichts geändert. Aber aus denen, die die Mobilisierung falsch verstanden haben, ist eine vierte Gruppe entstanden, die aus dem Krieg ihren Vorteil ziehen will. Sie unterschreiben einen Vertrag, der ihnen im Monat 2000 Euro bringt. Oft kommen sie aus Regionen, in denen man 300 Euro verdient. Eigentlich muss man noch eine fünfte Gruppe nennen. Das sind diejenigen, die im Kriegsgebiet sind und begreifen, was das bedeutet und verzweifelt versuchen, da weg zu kommen.

Die aktive Phase der Mobilisierung ist vorbei, haben Sie gesagt. Immer wieder heißt es, nach der Präsidentschaftswahl im März würde die Generalmobilmachung ausgerufen. Wir wirken diese Gerüchte auf die Männer?

Dieses Gerücht wird schon das gesamte Jahr immer wieder aufgewärmt. Seit Juli werde ich immer wieder danach gefragt. Meine Antwort ist nein. Und ich hatte recht. Aktuell gibt es genügend Zulauf. Hinzu kommt, dass das Gesetz noch nicht fertig ist. So gibt es noch keine strafrechtliche Verfolgung derjenigen, die sich dem Bescheid entziehen. Was passiert, wenn man einfach nicht hingeht? Vielleicht 50 Euro Strafe. Und selbst die wird möglicherweise nicht erhoben. Ich denke, dass es zu früh ist, über irgendeine Mobilisierung zu sprechen. Sollte es aber juristische Veränderungen geben, ist das ein besorgniserregendes Signal, dass nichts Gutes kommen wird… Mehr

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