Belarus: „Kriegsdienstverweigerer zu unterstützen, kostet weit weniger als jede Rakete“

von Olga Karatch, Nash Dom

(09.12.2023) Mein Name ist Olga Karatch, ich bin Menschenrechtsaktivistin. In Belarus droht mir für meine Menschenrechtsarbeit die Todesstrafe.

Wir helfen Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren, aber das ist eine große Herausforderung. Sie sind nicht überall willkommen. Heute sind diejenigen, die sich weigern, zu den Waffen zu greifen und nicht an die Front gehen wollen – Kriegsdienstverweigerer und Deserteure – zu Kriminellen erklärt worden.

Offiziell hat sich Belarus nicht am Krieg gegen die Ukraine beteiligt, doch die Beobachtung der Aktivitäten der belarussischen Armee durch meine Organisation, Nash Dom, im Rahmen der belarussischen Kampagne „Nein heißt Nein“ zeigt, dass die belarussische Armee umfangreiche Vorbereitungen für einen Einmarsch in die Ukraine getroffen hat, die bis zum heutigen Tag andauern.

Es gibt nur eine Strategie, um die Gefahr der Eröffnung einer zweiten Front in der Ukraine von Belarus aus zu verhindern: Eine umfassende und weitreichende Unterstützung belarussischer Männer, die sich weigern, in die Armee einzutreten und zu den Waffen zu greifen.

Als nach dem Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine klar wurde, dass belarussische Truppen gezwungen werden könnten, zu den Waffen zu greifen und gegen die Ukrainer zu kämpfen, waren viele Wehrpflichtige und Berufssoldaten entsetzt über diese Aussicht und versuchten zu fliehen. Infolgedessen begann die Zahl der belarussischen Kriegsdienstverweigerer zu steigen.

Die Lage der belarussischen Männer, die sich weigern, zu den Waffen zu greifen und in die Armee einzutreten, kann sowohl innerhalb als auch außerhalb der Grenzen von Belarus als schrecklich und verzweifelt bezeichnet werden. In Belarus wurde die Todesstrafe für Desertion unter der Strafandrohung des „Staatsverrats“ eingeführt. Die Gesetze zur Zurückstellung wurden verschärft. Damit sind die Möglichkeiten belarussischer Männer, sich dem Militärdienst zu entziehen, wenn er ihren Überzeugungen widerspricht, erheblich eingeschränkt worden. Zwar gibt es in Belarus formal einen alternativen Zivildienst, doch gilt dieser nur für einen sehr begrenzten Teil religiöser Männer. Allein im Jahr 2022 wurden etwa 400 Strafverfahren gegen belarussische Männer eingeleitet, die sich weigerten, in die Armee einzutreten. All diese Gerichtsverfahren wurden als Verschlusssache eingestuft, was den Zugang zu Informationen über die Strafverfolgung von Kriegsdienstverweigerern in Belarus erheblich erschwert. Derzeit hat die belarussische Polizei rund 5.000 belarussische Männer zur Fahndung ausgeschrieben, weil sie versucht haben, sich dem Militärdienst durch Flucht nach Russland oder in Länder der Europäischen Union zu entziehen.

So ist es für belarussische Kriegsdienstverweigerer praktisch unmöglich, sich dem Militärdienst zu entziehen oder einer Inhaftierung zu entgehen. Es ist aber auch fast unmöglich, in anderen Ländern Schutz zu erhalten.

Russland liefert belarussische Kriegsdienstverweigerer nach Belarus aus, wo sie inhaftiert werden.

Litauen betrachtet belarussische Kriegsdienstverweigerer als „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ und schiebt sie zurück nach Belarus ab, wobei ihnen die Einreise in die Europäische Union für die nächsten fünf Jahre untersagt wird. Aus offiziellen litauischen Quellen und Medien sowie aus Fällen, in denen unser Team Rechtsbeistand geleistet hat, wissen wir leider, dass rund 1.700 Belarussen im Jahr 2023 in Litauen unter dem Vorwand der „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ kurzerhand zur Persona non grata erklärt wurden. Diese Personen, sowohl Männer als auch Frauen, wurden nur deshalb als Bedrohung eingestuft, weil sie irgendwann in ihrem Leben, und sei es in den 1990er Jahren, in der belarussischen Armee gedient (und sei es nur als Buchhalter) oder eine Kadettenakademie besucht hatten. In diesem Zusammenhang müssen wir über politische Manipulationen und zahlreiche Menschenrechtsverletzungen gegenüber belarussischen Kriegsdienstverweigerern in Litauen sprechen.

Auch in anderen Ländern sehen sich belarussische Kriegsdienstverweigerer mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert, wenn sie versuchen, ihren Status zu legalisieren.

Mit anderen Worten: Unter den derzeitigen Umständen ist es für eine belarussische Person nahezu unmöglich, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung auszuüben.

Wir helfen diesen Menschen, wofür wir selbst Druck und Repressionen ausgesetzt sind.

Heute möchte ich sagen: Nein zum Krieg.

Kriegsdienstverweigerer zu unterstützen, kostet weit weniger als jede Rakete, aber aus irgendeinem Grund tut es niemand.

Wie können Putin und Lukaschenko den Krieg führen, ohne Soldaten zu haben?

Aber sie werden Soldaten haben. Es ist ein Ergebnis von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, denn nur wenige helfen Kriegsdienstverweigerern, vom Militär gerettet zu werden.

Wir wollen das menschliche Leben bewahren. Der einfachste Ansatz besteht darin, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die nicht am Krieg teilnehmen wollen, nicht dazu gezwungen werden. Es gilt, die Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, zu schützen.

Lassen Sie uns gemeinsam Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern helfen.

Beenden wir den Krieg mit humanen und gewaltfreien Mitteln.

Retten wir diejenigen, die noch nicht getötet worden sind – Kinder, Frauen und ältere Menschen. Retten wir sie, bevor es zu spät ist.

Reden wir endlich über Frieden, lesen wir Nachrichten über Frieden und nehmen wir den Kindern das Militärspielzeug weg, denn Krieg ist kein Spiel, weder für Kinder noch für Erwachsene.

Wir brauchen den Frieden hier und jetzt.

Redebeitrag von Olga Karatch, Nash Dom, am 9. Dezember 2023 in Berlin. Eine Aktion im Rahmen der Aktionswoche für Schutz und Asyl für Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine.