von Yurii Sheliazhenko, Ukrainische Pazifistische Bewegung
(04.12.2023) Liebe Freunde, Grüße aus Kiew.
Warnungen vor Luftangriffen, kalte Schutzräume in der nächstgelegenen Tiefgarage und tragische Nachrichten über neue Todesfälle sind mein Alltag unter dem Kriegsrecht während der verbrecherischen russischen Invasion der Ukraine.
Zusätzlich zu den normalen Härten des Krieges, die alle relativ glücklichen Bürger erleben, die den Massenmorden entgangen sind, unterliegt das Leben eines Pazifisten zusätzlicher Härten. Ich spreche dabei nicht nur vom täglichen gewaltlosen Widerstand gegen Krieg und Militarismus in Worten und Taten, von der Last der Verantwortung für eine bessere Zukunft, die vom Gewissen und dem Engagement einiger weniger Enthusiasten abhängt, die es wagen, in einer feindlichen Umgebung von einer Welt ohne Kriege zu träumen und dafür zu arbeiten. Schmerzlicher ist, dass der Traum vom Frieden unterdrückt wird, dass Kriegsdienstverweigerer inhaftiert werden.
Ich stehe unter Hausarrest und laufe Gefahr, vor Gericht gestellt und mit bis zu fünf Jahren Haft verurteilt zu werden, weil ich in einer Antikriegserklärung, in der ich die russische Aggression verurteile, diese angeblich rechtfertigen würde. Mein Brief an Präsident Selenskyj sei gefährlich, sagen sie, weil gewaltloser Widerstand eine Utopie sei und die Armee Kriegsdienstverweigerung nicht akzeptieren könne.
Man darf nicht von Frieden träumen, man soll die utopischen Ideen der Kriegspropaganda übernehmen, damit alle Menschen zu Soldat*innen gemacht werden und Russland von der Weltkarte getilgt wird. Wir sollen auch denken, dass Putin nur geblufft hat, als er diese schrecklichen Dinge über Atomwaffen sagte und warum es eine Welt ohne Russland nicht braucht. Wir sollen den Wunsch haben, Russland zu besiegen, das nennen sie „Moral“. Wenn wir in Russland leben würden, würde uns die gleiche Art von unmoralischer „Moral“ aufgezwungen werden.
Mehr als eine halbe Million Menschen wurde getötet. Aber das hat die Präsidenten Putin und Selenskyj nicht davon abgehalten, weitere Rekrutierungen für das Militär anzukündigen, um noch mehr Menschenleben in einem endlosen, sinnlosen Krieg zu opfern. Natürlich kann es angesichts des Krieges keine Gleichsetzung geben: Der Angreifer muss zur Rechenschaft gezogen werden. Und es ist richtig, sich in vernünftiger Weise selbst zu verteidigen, auch wenn ich das lieber ohne Gewalt durchführen würde.
Wenn man mit Gewalt auf Gewalt reagiert, vervielfacht sich das Leid und die Zerstörung. Die Menschen spüren das und wissen es, deshalb stimmen sie mit den Füßen gegen den Krieg ab, wenn es für sie möglich ist. Mehr als eine Million Russen sind vor Putins Tyrannei geflohen, ganz zu schweigen von denen, die vor seinem ebenfalls schuldigen Diktatur Lukaschenko aus Belarus geflohen sind. Und mehr als eine halbe Million ukrainische Flüchtlinge verstecken sich in Europa vor der grausamen Einberufung, vor den Entführungen von Wehrpflichtigen auf der Straße.
Jeder Mensch, der vor dem Fleischwolf des Krieges gerettet wird, ist ein Triumph des Lebens und ein Schritt in Richtung Frieden. Deshalb müssen wir die #ObjectWarCampaign unterstützen, die darauf zielt, all jenen Schutz und Asyl zu gewähren, die in Russland, Belarus und der Ukraine Gefahr laufen, unterdrückt zu werden, weil sie sich weigern zu töten. Das Recht, das Töten zu verweigern ist absolut. Denn das Leben und die Würde des Menschen sind heilig.
Ich wünsche mir, dass die Leibeigenschaft der Wehrpflicht durch das Völkerrecht verboten wird, denn ohne solch ein autoritäres Instrument wäre es schwer, lange und monströse Kriege zu führen. Frieden ist ein Menschenrecht. Es verlangt Fürsorge statt Hass gegenüber anderen. Und Krieg ist keine Entschuldigung für die Verletzung der Gewissensfreiheit.
Daran sollten wir uns am Vorabend des Internationalen Tages der Menschenrechte erinnern. Dafür sollten wir eintreten. Ich sende meine Glückwünsche zu diesem bedeutungsvollem Tag und wünsche Ihnen Frieden und Glück. Geben Sie niemals Ihre Hoffnungen und Ihre Bemühungen auf: Für eine Welt, in der die Menschen vergessen haben, wie Kriege geführt werden.
Yurii Sheliazhenko, Ukrainische Pazifistische Bewegung: Grußwort zur Aktionswoche für Schutz und Asyl für Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen aus Russland, Belarus und Ukraine im Dezember 2023. 4.12.2023